Durchgeknallter Neo-Hippie. Ja, für den halten sie ihn oft. Jesus in Turnschuhen, auch so eine Assoziation, die in der Luft liegt, wenn es um Anton Krupicka geht. Er sieht halt einfach etwas anders aus. Mit seinen langen Haaren, dem Bart und vor allem aufgrund der Tatsache, dass er mit möglichst wenig Ausrüstung (wenn es geht sogar mit freiem Oberkörper) unterwegs ist, ist er tatsächlich eine etwas ungewöhnliche Erscheinung in der Laufszene.

Anton Krupicka ist aber vor allem ein richtig guter Trail- und Ultrarunner. Zweimal gewann er den legendären Leadville Trail, ein mörderisches Rennen, das 160 Kilometer mitten durch die Rocky Mountains führt. Er ist ein Star der Szene – auch wenn er sich selbst nie so bezeichnen würde. „Bei einem Ultrarennen geht jeder einzelne Teilnehmer an seine Grenzen, alles reduziert sich auf dich und die Herausforderung, die vor dir liegt. Dieses Gefühl, nur gegen dich selbst anzutreten, das bringt uns alle auf eine Ebene. Konkurrenzdenken gibt es kaum.” – Ein wahres Feuerwerk an Intrinsischer Motivation.


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Vom unglaublichen Gefühl, Superkräfte zu besitzen

Wenn es einen Titel für den größten Naturburschen gäbe, Anton Krupicka hätte gute Chancen: Er wächst auf einer 250 Hektor großen Farm im US-Bundestaat Nebraska auf, die nächste befestigte Straße ist meilenweit entfernt. Er ist ständig draußen, sammelt Fossilien, versteinerte Knochen von steinzeitlichen Bisons, baut Hütten und bekommt mit neun Jahren zu Weihnachten seine erste Axt geschenkt. „Ich wollte schon immer ein ‚Mountain Man‘ werden”, erinnert er sich.

Anton Krupickas Lehrer markiert auf seinem Stuhl mit Klebeband ein großes „X”, damit er endlich sitzen bleibt. Aber dem Jungen, dessen Ur-Ur-Großvater vor 150 Jahren aus dem heutigen Tschechien nach Amerika auswanderte, macht das Entdecken einfach zu viel Spaß. Er ist der schnellste Läufer in seiner Klasse, das gibt ihm einen ordentlichen Schub Selbstbewusstsein. Er beginnt, jeden Tag eine Meile zu rennen – und findet Gefallen daran. Mit zwölf Jahren läuft Tony Krupicka seinen ersten Marathon in 3 Stunden und 50 Minuten. „Mehrere Stunden am Stück rennen zu können, rief in mir das Gefühl hervor, Superkräfte zu besitzen”, so Anton Krupicka heute.

Später, am College, wird er Teil des Cross Country Running Teams. Er bringt akzeptable Leistungen, ist aber auch oft verletzt und nie so richtig zufrieden mit seinen Zeiten und Platzierungen. Erst gegen Ende seines Studiums (das er in den Fächern Philosophie, Physik und Geographie erfolgreich abschloss), entdeckt Anton Krupicka, dass er läuferisch zu viel Größerem, in diesem Fall besser Längerem, berufen ist.

Wage es, das Leben zu leben, das du dir vorgestellt hast

Anton Krupicka
2006 meldet er sich für den Leadville 100 an, von dem er immer wieder gehört und gelesen hat. Drei Wochen vor dem Start läuft er im Training die halbe Strecke ab: 50 Meilen, also 80 Kilometer – so weit wie noch nie zuvor. Und als das Rennen dann da ist, da rennt er plötzlich alle in Grund und Boden und gewinnt, mit einer Zeit von ziemlich genau 17 Stunden. Erst satte 1:45 Stunden später trudelt der Zweitplatzierte ein.

Dieses Erlebnis legt einen Schalter um, und Tony weiß: Das ist genau mein Ding.

Von diesem Tag an ist er fast täglich in den Bergen unterwegs. Er findet Sponsoren, die zu ihm passen und ihm ermöglichen, seinen Traum zu leben. Den Traum vom „Mountain Man”. Es gibt einen Kurzfilm, der die Leidenschaft und tiefe Verbundenheit, mit der Tony durch die Berge läuft, wunderbar emotional in Bilder und Worte überträgt: The ingenious choice, auf Deutsch so viel wie Die geniale Wahl (siehe unten). Darin heißt es:[ecko_quote source=“Anton Krupicka“]Mein Experiment hat mir gezeigt, dass du reichlich belohnt werden wirst, wenn du es wagst, das Leben zu leben, das du dir einmal vorgestellt hast.[/ecko_quote]

Grenzen? Kategorien? So etwas interessiert Anton Krupicka nicht

Anton Krupicka ist heute 31 Jahre alt. Und er treibt das Toben in den Bergen immer weiter voran. Tony gehört zu einer kleinen Elite von Trail Runnern, die das Laufen inzwischen mit dem Klettern kombinieren und so in bislang für unmöglich gehaltenen Zeiten auf Gipfel stürmen.

Vor einigen Monaten rannte und kraxelte er innerhalb von drei Stunden auf den 4.200 Meter hohen Grand Teton in Wyoming, normalerweise eine 3-Tages-Tour. Und am Tag danach? Da stellte er gleich nebenan mit acht Stunden und 46 Minuten auf einer deutlich schwereren Route eine neue Bestzeit am genauso hohen Gannett Peak auf. Und selbst am Tag darauf, drehte Tony schon wieder ein paar Runden in den Bergen rund um Boulder, Colorado, wo er in einer kleinen Wohnung und einem umgebauten Chevrolet-Pickup lebt.


Ich habe mit Anton Krupicka gesprochen. Über die Herausforderung Ultrarennen, Instinkte und das Besondere an einem echten Flow-Erlebnis.

Hier das volle Anton Krupicka Interview:

Tony, was lerne ich, wenn ich 100 Meilen am Stück laufe?
Du lernst sehr viel über deinen Charakter. Zum Beispiel, ob du bereit bist, alles zu geben, um ein Ziel zu erreichen. Aber obwohl du bei einem 100-Meilen-Lauf ein klar definiertes Ziel hast, ist das am Ende nicht entscheidend. Es geht um das Erlebnis, um die Erfahrung, die du in dieser Extremleistung machst.

Wenn es nur um das Erlebnis geht, warum sind Ausnahmeläufer wie du dann ständig auf der Jagd nach Rekorden?
Ganz einfach, weil sich das Erlebnis verändert, wenn ich schneller laufe. Die Erfahrung wird extremer, ich verlange mir mehr ab.

Reicht dafür nicht auch eine kürzere Distanz?
Wenn du wachsen willst, musst du dich Herausforderungen stellen. Die müssen nicht unbedingt extrem sein, aber sie sollten außerhalb deiner Komfortzone liegen. Wenn du ständig nur machst, was du schon immer gemacht hast, kommst du nicht voran. Das ist das Entscheidende. 100 Meilen sind nicht der Maßstab.

Was kennzeichnet solche Herausforderungen?
In extremen Situationen bist du im Moment, du kommst auf eine Art primitives Level. Das hört sich etwas komisch an, aber es ist so und genau deshalb eine großartige Erfahrung. Dein Ego und dein Verstand treten zurück und plötzlich bist du allein mit dem, was auch oft als Instinkt bezeichnet wird. In der modernen, kopfgesteuerten Gesellschaft geraten wir kaum noch in solche Situationen, in der körperlichen Herausforderung können wir sie finden.

Ist das Ankommen im Moment auch Voraussetzung für das Flow Erlebnis, von dem Läufer oft sprechen, gerade bei langen Distanzen?
Ich glaube schon, dass das eine Voraussetzung ist. Aber das bedeutet nicht, dass du automatisch in ein Flow Erlebnis kommst, wenn du im Moment bist. Du bekommst dieses Gefühl, ewig weiterlaufen zu können dann, wenn die Herausforderung zu deinen Fähigkeiten passt, wenn du zwar hart arbeiten musst, aber spürst, dass du es kannst, dass du bereit bist für diese Herausforderung. Dann gehst du auf in deiner Tätigkeit, wirst Eins mit dem Moment und deiner Umgebung. Dieses Verbundensein mit dem, was dich umgibt, das ist willst du wieder und wieder erleben. Du darfst aber nicht erwarten, dass es bei jedem Lauf kommt. Es kommt, wenn alles passt.

Du wirst oft gefragt, wie du deine Willenskraft trainierst? Machst du gezieltes Mentaltraining?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin mittlerweile sogar davon überzeugt, dass Körper und Geist sich überhaupt nicht trennen lassen, dass diese beiden Begriffe eigentlich ein- und dasselbe beschreiben, und zwar unser System oder wie auch immer man es nennen mag. Diese beiden Aspekte bedingen sich ständig gegenseitig und sind untrennbar miteinander verknüpft. Du musst auf das Ganze gucken und darfst nicht nur einzelne Elemente analysieren. Ich trainiere das am besten, indem ich mich immer wieder neu herausfordere, ganz einfach.

Ist es aus deiner Sicht erstrebenswert, primitiver oder einfacher zu leben?
Das muss jeder erst einmal selbst für sich entscheiden. Für mich ist primitiv positiv besetzt. Andere mögen statt primitiv lieber Worte wie einfach, minimalistisch oder authentisch. Ich fühle mich am wohlsten, wenn mein Erleben nicht von gesellschaftlichen Aspekten gefiltert wird, wenn ich die komplett ausschalte. Das heißt nicht, dass ich für immer alleine in den Bergen sein möchte. Ein soziales Netz ist auch mir wichtig. Aber ich würde gerne noch näher an der Natur leben als ich es ohnehin schon tue. Wahrscheinlich kommt da auch die Prägung in meiner Kindheit durch. Ich bin ja fast in der Wildnis aufgewachsen.

Wärest du dann die „beste Version” von dir selbst, über die du mal in einem Interview gesprochen hast?
Dafür müsste ich noch mehr von Nutzen sein. Das ist tatsächlich etwas, worüber ich oft nachdenke. Als Athlet ist es leicht, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Aber welchen Beitrag kann ich zur Gesellschaft leisten? Ich würde zum Beispiel gerne mein eigenes Essen anbauen und meinen Strom mit Solar- oder Windenergie erzeugen.

Du hast über das Erleben im Moment gesprochen. Ziehst du deine Motivation rein daraus oder setzt du dir auch konkrete Ziele?
Es ist eine Kombination aus beiden. Ich benutze die Zielstruktur um Bewegung zu initiieren, um mir selbst in den Hintern zu treten, wenn es draußen wirklich mal so richtig ungemütlich ist. Ich habe mir zum Beispiel gerade vorgenommen, in jedem Monat mindestens einen Gipfel zu erlaufen. Das treibt mich raus. Aber sobald ich dann beginne zu laufen, spätestens nach zehn Minuten, übernimmt diese intrinsische Moment-Motivation. Die Zielstruktur rückt dann komplett zurück und ich laufe nur noch, weil das Erlebnis so großartig ist.

Wo muss ich unbedingt hin, wenn ich in den USA mal durch die Berge rennen will?
Oh, es gibt so viele traumhafte Ecken. Ein absolutes Highlight zum Laufen ist der Grand Canyon, wenn es nicht zu heiß ist. Dann natürlich die Rocky Mountains und der Yosemite-Nationalpark. Aber auch bei mir hinterm Haus lohnt es sich, vorbeizugucken. Da liegen die Flatirons, eine imposante Felsformation der Green Mountains im Chautauqua Nationalpark.


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